Flavia de Luce 7--Eine Leiche wirbelt Staub auf by Alan Bradley

Flavia de Luce 7--Eine Leiche wirbelt Staub auf by Alan Bradley

Autor:Alan Bradley
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Penhaligon Verlag


16

Der Tröpfelregen, der eingesetzt hatte, als wir die Baracken wieder verließen, hatte sich unterdessen in einen Wolkenbruch verwandelt. Zwei träge Scheibenwischer schoben wahre Sturzbäche von der Windschutzscheibe, und es war auf einmal kalt geworden. Weil ich fror, schlang ich die Arme um mich.

Gremly hatte sich für die Rückfahrt nicht neben mich gesetzt. Ganz im Gegenteil. Sie war bis ganz nach hinten durchgegangen und saß nun im toten Winkel von Miss Moate. Ich dagegen hockte gleich hinter dem Fahrer und tat so, als bewunderte ich die Schönheit der Landschaft, die überwiegend aus hohen Ulmen auf regengepeitschten Feldern bestand, kurzen Ausblicken auf den See und gelegentlich einem Schrottplatz, auf dem die verrosteten Karosserien ehemals geliebter Automobile zu riesigen stählernen Ameisenhügeln aufgetürmt waren.

Das Wort »desorientiert« kam mir wieder in den Sinn. Im Grunde bedeutete es, dass man keine Kompasspeilung mehr hatte, und genau das war mir passiert.

Aus dem Zuhause meiner Kindheit verstoßen, auf eine unbekannte Insel verbannt und jetzt auch noch vom gedämpften Geschnatter meiner Klassenkameradinnen getrennt, war ich ganz allein auf der Welt und dem kleinsten Windstoß wehrlos ausgeliefert.

Ich musste mich auf etwas außerhalb meiner selbst konzentrieren. Ich musste meine wissenschaftliche Sichtweise wiederfinden und auf diese Weise meine verwundete Seele heilen.

Aber wo anfangen?

»Traue keinem«, hatten mir sowohl Miss Fawlthorne als auch Gremly geraten, und wenn man es recht bedachte, schloss das auch die beiden selbst mit ein.

Ich musste es irgendwie hinkriegen, dass mich die Lehrerinnen von Miss Bodycotes Höherer Mädchenschule für begabt hielten, meine Mitschülerinnen dagegen für eine harmlose Langweilerin.

Um dieses Ziel mit minimalem Aufwand zu erreichen, fiel mir nur ein Mittel ein.

»Langsam, langsam«, mahnte Fitzgibbon, als sie mir die Treppe hochhalf. Während ich mich die Stufen hochschleppte, ließ ich meine Hand auf ihrem Arm spürbar zittern.

Beim Aussteigen hatte ich mich noch einmal kurz, aber überzeugend in den Rinnstein übergeben, eine Leistung, die mich mit großem Stolz erfüllte. Daraufhin hatte Miss Moate darauf bestanden, dass ich die Krankenschwester aufsuchte – ganz, wie ich es beabsichtigt hatte. Noch ein paarmal auf der Treppe trocken würgen, und die Sache war geritzt.

»Vielen Dank, Miss«, brachte ich heraus.

»Nicht sprechen«, sagte sie. »Du hast im Lager doch hoffentlich kein Grundwasser getrunken, oder?«

Lager. So nannte sich das also.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, bloß Milch.«

»Sehr gut«, erwiderte sie. »Dann besteht ja noch Hoffnung.«

War das »Ironie«? Ich kannte das Wort von Daffy. Ironie, hatte sie mir erklärt, war eine besondere Spielart von Sarkasmus, bei der man das Gegenteil von dem sagte, was man eigentlich meinte. Leider beherrschte ich diese Kunst noch lange nicht so gut, wie es mir lieb gewesen wäre, auch wenn sie auf meiner Erledigungsliste ganz oben stand.

Allerdings rechnete ich es mir durchaus als Erfolg an, eine ironische Bemerkung als solche zu erkennen.

»Hier ist das Krankenzimmer«, verkündete Fitzgibbon und führte mich durch einen engen, dunklen Flur, der vom vorderen Quergebäude des Hauses in einen unauffälligeren Seitenflügel abzweigte.

Vor einer weiß gestrichenen Tür klirrte sie so laut mit dem Schlüsselbund, als wollte sie jemanden warnen, dass wir gleich hereinkommen würden.

»Dauert es lange, bis die Krankenschwester kommt?«, fragte ich.

»Die Krankenschwester steht schon vor dir«, erwiderte sie.



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